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Fortsetzung geglückt!

Bündner Haute Route Spezial vom 4. bis 8. April 2022

Der letztjährige Winter 2020/2021 war nicht nur durch Corona-bedingte Einschränkungen, sondern auch durch manche Wetterkapriole in der Tourensaison geprägt. Verschiebungen und Abbrüche waren die Folge, so auch auf der klassischen Bündner Haute Route vom Julier bis zum Flüela-Pass. Ein Grund genug, um dort weiterzufahren, wo im vergangenen Jahr der Abbruch erfolgte und dafür die verkürzte Haute Route um eine Zusatzrunde in der Silvretta zu ergänzen – die Bündner Haute Route Spezial war geboren.  

Der Einstieg: Vom Frühling zurück in den Winter  
Mit dem Allwetter-Optimismus von Alex und der reichen Hochtourenerfahrung von Ruedi nahmen fünf Teilnehmer die anspruchsvolle Tourenwahl durch die Engadiner Bergwelt in Angriff. Die morgenfüllende Anreise nach Madulain im Unterengadin war mehr Ansporn als Hindernis, um gleich am ersten Nachmittag auf dem Weg zur Es-Cha Hütte mit dem Piz Belvair den ersten Gipfel zu erstürmen und einen ersten Eindruck von der Restschneemenge in den Engadiner Bergen zu erhalten. Denn eines war mit Blick auf die Schneekarten des SLF und die grünbraunen Hänge des Haupttales gleich zu Beginn klar: die unabdingbare Unterlage für Winterhochtouren war in diesem Jahr eher bescheiden vorhanden.  

Die renovierte und erweiterte Es-Cha Hütte bot dafür neben dem obligatorischen Bergpanorama viel Platz und kulinarischen Genuss, um über die leise Enttäuschung der knappen Schneepracht hinwegzukommen. Das Wetter zu diesem Zeitpunkt: frühlingshaft warm und Sonnenschein pur, jedoch mit Aussichten, die für die Fortsetzung bei allen Teilnehmern zu einigen Sorgenfalten führten. Der Morgen danach brachte leider die Bestätigung der Wetterprognose. Dennoch zog die Gruppe trotz auffrischendem Westwind, tiefer Wolkendecke und leichtem Schneetreiben aber guten Mutes in Richtung Piz Kesch von dannen, der dann auch «im Sturm» erklommen wurde. Inwiefern das Gipfelbild als Beweis für die Besteigung des Gipfels gelten mag, wird der Beurteilung der Leserschaft überlassen. Zumindest konnte ob der fehlenden Fernsicht aber keine Gefahr der Höhenangst oder des Bergkollers aufkommen. Die Pulverabfahrt zur Keschhütte rundete den zweiten Tourentag bereits am früheren Nachmittag ab, immer mit der Hoffnung verbunden, dass die Wolkendecke noch aufreissen und einen Blick auf den erklommenen Gipfel freigeben möge.  

Die Mitte: Hochtourenerlebnisse der feinsten Sorte 
Umso grösser war die Freude im frühen Morgen des dritten Tages, als die Sonne am wolkenlosen Himmel die Gruppe für ihre Überschreitung zur Grialetschhütte begrüsste und mit einem freien Blick auf den Piz Kesch für die Mühen des Vortags entschädigte. Die prächtigen Wetterbedingungen versprachen einen wunderbaren Tourentag, geprägt von zwei langen Abfahrten, einem ebenso langen Zwischenaufstieg bis zum Fuss des Piz Grialetsch und einer steilen Kraxlerei durch ein Schneecouloir zum Gipfel hoch. Das Versprechen wurde eingehalten, was zwei Teilnehmer bewog noch einen Zusatzaufstieg zum Fusse des Piz Vadret verbunden mit einer «First Line» in Richtung Grialetschgletscher unter die Bretter nehmen.  

Die Fortsetzung der Hochtour wurde am gleichen Abend dann ernsthaft in Frage gestellt. Aus Westen kündigte sich eine mehrtägige Wetterlage mit stürmischem Westwind und viel Neuschnee im westlichen und nördlichen Alpengebiet an. Würde die Front mit Verzögerung eintreffen, der Alpennordhang die Wolken gar zurückhalten oder der Wetterumschwung die Fortsetzung der Tour verunmöglichen? Nach eingehender Lageanalyse wurde zugunsten einer tageweise Neubeurteilung entschieden, was die Möglichkeit für die nächste Gipfelbesteigung auf den Piz Sarsura am vierten Tourentag offenliess. Mit einem feinen Schnaps wurde auf eine möglichst stabile Wetterlage für den Folgetag angestossen und anschliessend die zeitige Bettruhe angetreten.  

Am Morgen des vierten Tages wurde die Gruppe für ihren Optimismus belohnt. Bei leichter Bewölkung wurde der Piz Sarsura in Angriff genommen und in zügigem Tempo auch bestiegen. Was danach folgte, war die Krönung aller Abfahrten der Woche. 1400 Höhenmeter reichten, um vom feinen Pulverschnee über tragenden Firn bis zum weichen Sulz alle Genussvarianten des Tourenskifahrens geniessen zu können. Da wurden auch die verbleibenden 300 Höhenmeter bis zum Talboden auf Waldwegen und Forststrassen mit viel Schwung zu Fuss bewältigt. Der Entscheid, mindestens einen weiteren Tag anzuhängen, war mit diesem Erlebnis nur noch eine Formsache.  

Mit dem lokalen Taxi erfolgte anschliessend ein kurzer Transfer bis nach Guarda, von wo aus der Gruppe ein weiterer Aufstieg bis zur Tuoi-Hütte am Fusse des mächtig aufragenden Piz Buin bevorstand.  

Der Abschluss: Mit Optimismus den Widrigkeiten getrotzt 
Im individuellen Tempo, von gemächlich bis sportlich, erreichte aber nicht nur die ganze Gruppe am späteren Nachmittag die Hütte, sondern auch die lange angekündigte Wetterfront. Der Hüttenaufstieg reichte, um in kurzer Zeit vom warmen Frühling mit T-Shirt-Wetter in den windig-feuchten Winter mit Schneetreiben und Nebel zurückgeworfen zu werden. Keine einfache Ausgangslage, um für den Folgetag eine zuverlässige Tourenplanung durchführen zu können. Dennoch gab das Wetterbulletin am frühen Abend Anlass zur Hoffnung, am fünften Tag mit etwas Wetterglück den Aufstieg zum Piz Buin wagen zu können. Mit viel Zuversicht und dem Mut der ersten vier Tage wurde so das Tagesprogramm bestimmt, aber auch der Abschluss der Tourenwoche mit diesem Gipfelziel beschlossen, denn zu ungünstig waren die Wetterprognosen für die Fortsetzung.  

Am frühen Morgen wurde die Gruppe einmal mehr für ihre Zuversicht belohnt. Leichte Bewölkung und warme Temperaturen führten im steilen Aufstieg zur Plan Rai zu Schweissausbrüchen und hohen Pulsfrequenzen, um auf der Zwischenebene durch einen steifen und kühlen Westwind abgelöst zu werden. Von da an wuchs mit der Höhenlage auch die Windkraft stark an, was für manchen Zweifel hinsichtlich des Gipfelziels sorgte. Am Fusse des Piz Buins brachte dann die günstige Ausrichtung des Gipfelaufstiegs die Zuversicht wieder zurück: Im Windschatten der Bergflanke wurde die klassische Route erklommen und auf dem Gipfel eine überraschend gute Fernsicht hart im Wind genossen. Mit dem Glücksgefühl des Gipfelstürmers wurde der anspruchsvolle Abstieg konzentriert bewältigt und die lange Abfahrt bis in den Talboden hinunter in Angriff genommen. Diese führte die Gruppe durch das wilde und selten begangene Val Lavinuoz, eine Abfahrtsvariante, die erst mit dem Rückzug des Tiatschagletschers möglich wurde. Mit müden Beinen, vielen schönen Erinnerungen und dem Wissen über glückliche Wetterfügungen wurde am späteren Nachmittag die lange Reise zurück nach Bern angetreten – in der Hoffnung auf ein nächstes Mal! 

Was es sonst noch zu erzählen gilt 
Neben den Aufstiegen, Klettereien und Abfahrten sind es immer wieder die kleinen Nebengeschichten, welche eine Hochtourenwoche zum unvergesslichen Erlebnis werden lassen. Von diesen gäbe es denn auch hier einige zu berichten. Erwähnt sei zum Beispiel die begleitende Gruppe aus München, die mit viel Tempo aber auch etwas müdem Material unterwegs war. Der Wart der Keschhütte konnte dafür sein technisches Geschick und Feingefühl mit der Reparatur von gleich zwei (!) Bindungsbrüchen unter Beweis stellen, wusste beim Bruch des Carbon-Skistocks in unserer Gruppe aber auch keine andere Lösung als die Ausleihe eines Ersatzstockes.  

Weiter führten die unterschiedlichen Service-Konzepte zu langen Diskussionen, respektive zu morgendlichen Warteschlangen am Käsebuffet (ein «Schibeli Chäs» pro Person und Bestellung mit viel Feingefühl geschnitten) und abends zum schnellsten Viergänger des gesamten Alpenhauptkammes (Suppe, Salat, Hauptgang und Dessert in 35 Minuten und alle Gänge MIT Nachschlag…) – eine Tagestour, zwei Hütten und zwei Welten.  

Zum Schluss dürfen auch die «Hardfacts» nicht fehlen: 

  • 5 von 6 geplanten Tagen durchgeführt
  • 5 Gipfel
  • 5 Fuorclas
  • 7 Gletscher
  • Aufstieg: 5615 m
  • Abstieg / Abfahrt: 5888 m
  • Distanz: 69.7 km
  • Höchstgeschwindigkeit 58.7 km/h

Herzlichen Dank an Alex und Ruedi für die perfekte Planung und Leitung der Tourenwoche!

Leitung:  Alex Willimann, Ruedi Schöni 
Teilnehmer:  Miguel Anjo, Beat Müller, Rafael Blülle, Detlef Conradin, Alan Müller Kearns 
Tourenbericht: Alan Müller Kearns

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